Die Chance der Digitalisierung für Bürgerservices
Gerade kleineren und mittleren Kommunen fehlt es oftmals an zeitlichen, personellen oder finanziellen Ressourcen, um die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten. Digitalisierung bedeutet dabei nicht nur die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur (Breitbandausbau), die Förderung von Startups oder einen stärkeren Fokus auf digitale Themen in der Bildung. Digitalisierung setzt sich vielmehr aus sehr vielen Einzelmaßnahmen zusammen, welche den öffentlichen Sektor betreffen. Die Kommunen, als unterste Gebietskörperschaftsebene, stehen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung an erster Stelle bei der Umsetzung digitaler Projekte. Die Digitalisierung von bestehenden und dazukommenden kommunalen Dienstleistungen kann hierbei nicht nur für mehr Servicegeschwindigkeit für die Bürger*innen sorgen, sondern auch interne Verwaltungsprozesse optimieren sowie Personalengpässe teils obsolet machen. Die Vielfalt möglicher digitaler Bürgerservices ist hierbei enorm und es ergeben sich zahlreiche Handlungsfelder für die Kommune.
Online-Zugang zur Verwaltung und politischen Gremien
Im Mittelpunkt möglicher Projekte und Tools dieses Handlungsfeldes steht der Online-Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Akteur*innen, v.a. auch in eher ländlicheren Räumern, seien es Gemeindeverwaltungen oder politische Gremien bzw. Mandatsträger*innen. Die Vermeidung von Medienbrüchen etwa im Bereich der Antragsbearbeitung sowie verbesserte und unbürokratische Erreichbarkeit von Funktions- und Mandatsträger*innen sind bei zahlreichen Initiativen dieses Handlungsfeldes die hervorstechenden Merkmale.
Vielfach ist im ländlichen Raum bei der Beschleunigung bzw. Vereinfachung von Kommunikationsprozessen durch Digitalisierung die Vermeidung von An- und Abfahrtszeiten auf Seiten der Bürger*innen ein dominierendes Motiv. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede des ländlichen Raums zu den Digitalisierungsbestrebungen in städtisch geprägten Regionen, bei denen die Vermeidung von Fahrzeiten angesichts der hohen räumlichen Verdichtung sowie des gut ausgebauten Nahverkehrs eine wesentlich geringere Bedeutung besitzt.
Eine augenfällige Gemeinsamkeit verschiedener Projekte dieses Handlungsfeldes bildet der Online-Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen, die von den Bürger*innen und Unternehmen unter Nutzung von modernen Authentifizierungsmechanismen wie z. B. dem neuen Personalausweis (nPA) oder der eSignatur rechtssicher und dabei zeit- und vor allem ortsunabhängig genutzt werden können. Videokommunikation – im privaten Bereich mit Werkzeugen wie Skype längst etabliert – kann dabei unterstützend wirken, um den persönlichen Austausch mit Verwaltungsmitarbeitenden zu vereinfachen.
Verbesserte Entscheidungspartizipation
Unzureichende direkte Beteiligung an politischer Entscheidungsfindung führt bei vielen Bürger*innen zu Politikverdrossenheit und dem Gefühl, Entscheidungen würden unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. Diese Wahrnehmung mag in einer repräsentativen Demokratie und in Anbetracht vielfach komplexer Problemstellungen nicht plausibel sein. Dennoch sollten gerade die auf kommunaler Ebene zahlreichen bestehenden Möglichkeiten genutzt werden, Bürger*innen einzubeziehen.
So bieten digitale Plattformen in der Kommune die Gelegenheit, zur Beschlussfassung anstehende Vorhaben vorzustellen und zu erläutern. Die Bürger*innen können diese Beschlussvorlagen kommentieren und bewerten. Zudem haben die Bürger*innen zahlreicher großer und kleiner Kommunen inzwischen die Möglichkeit, eigene Ideen in die Haushaltsplanung einzubringen. Einige Städte nutzen die Chance, angesichts notwendiger Haushaltskürzungen die Bevölkerung über digitale Plattformen einzubeziehen und Einsparungen auf diesem Weg konsensgetragen und letztlich besser legitimiert umzusetzen.
Nicht übersehen werden darf bei allen Erfolgen, dass nicht wenige ambitioniert gestartete digitale Bürgerhaushalte der letzten Jahre aufgrund fehlender Beteiligung gescheitert oder verkümmert sind. Die Aktivierung und nachhaltige Motivation der Bürger*innen ist und bleibt daher eine anspruchsvolle und dauerhafte Aufgabe.
Förderung der lokalen Wirtschaft
Neben der sozialen Vernetzung ist die Wirtschaft eine tragende Säule in den Kommunen. Dies umfasst den Handel, Dienstleistungsbetriebe, produzierendes Gewerbe und die Landwirtschaft.
Unternehmen in kleinen oder mittelgroßen Kommunen, deren Zielgruppe die vor Ort Ansässigen bilden, stehen unverändert unter dem hohen Konkurrenzdruck von Einkaufszentren, Gewerbegebieten sowie großen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben innerhalb und in Randlage größerer Städte. Nicht wenige Unternehmen im ländlichen Raum mussten aus diesem Grund in den letzten Jahren schließen, was die Attraktivität der städtischen Konkurrenz mit diversifiziertem Sortiment und mitunter günstigeren Kalkulationsmöglichkeiten zusätzlich steigert.
Den ländlichen Gemeinden selbst entsteht durch diese Abwanderung von Kauf- und Wirtschaftskraft ein beträchtlicher Schaden, der die Möglichkeiten kommunaler Politikgestaltung infolge einer verringerten Einnahmesituation einschränkt.
Moderne Gegenstrategien setzen auf digitale Angebote der lokalen Wirtschaft, um die Reichweite der konventionellen Vertriebskanäle wirksam und dauerhaft zu erweitern.
In Portallösungen präsentieren sich etwa lokale oder regionale Unternehmen aus Handel, Dienstleistung und Produktion in einem virtuellen Schaufenster. Andernorts entstehen interaktive Kommunikationsnetzwerke für regionale Lebensmittelproduzenten, die die regionale Landwirtschaft stärken und die Direktvermarktung der Produkte fördern. Regionale Tourismusbetriebe präsentieren sich auf einer digitalen Plattform, die auch als App zur Verfügung steht und von den Interessent*innen unterwegs genutzt werden kann.
Innovative Bildungs- und Kulturangebote
Aufgrund großer Entfernungen zu den nächstgelegenen Kultur- und Bildungseinrichtungen und unzureichender ÖPNV-Verbindungen ist die Teilhabe der Bürger*innen ländlicher Gemeinden an Bildungs- und Kultureinrichtungen häufig eingeschränkt.
Sofern die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sind (verfügbare Breitbandinfrastruktur) können VHS-Seminare z. B. als interaktive „Webinare“ angeboten und Konzerte oder Theateraufführungen als Live Stream im Internet in alle Wohnzimmer übertragen werden.
„Online-Scouts“ bzw. E-Learning-Beratungsstellen können Orientierung in dem breiten und ständig wachsenden Angebot vermitteln. Auch Lerngruppen vor Ort, die sich etwa im örtlichen Markttreff verabreden, bewähren sich als gelungene Kombination von analoger und digitaler Welt.
E-Health-Angebote für Ärzt*innen und Patient*innen
Bei der medizinischen Betreuung einer alternden Gesellschaft ist in vielen ländlichen Gemeinden eine zunehmende Unterversorgung mit medizinischem und pflegerischem Fachpersonal zu beobachten. Telemedizinische Angebote bieten hier wichtige Verbesserungen, etwa altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben (Ambient Assisted Living) oder Fernüberwachung des Gesundheitszustandes von Risikopatienten oder chronisch Kranken bzw. Unterstützung des täglichen Lebens für ältere oder hinsichtlich ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen. Neben den Patient*innen werden hier auch Ärzt*innen, Pflegepersonal oder Angehörige aktiv eingebunden.
Telemedizinische Angebote, die durch das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz) wesentlich befördert werden, leisten häufig einen wichtigen Beitrag, um kranken oder pflegebedürftigen Personen möglichst lange einen Verbleib im heimischen und damit vertrauten sozialen Umfeld zu ermöglichen, wie auch die ausgewählten Projektbeispiele zeigen.
Der Blick nach Nordeuropa macht deutlich, welche Vorteile die digitale Vernetzung in einem einheitlichen Gesundheitssystem für alle Beteiligten bringen kann: Das dänische Gesundheitssystem Sundhed.dk bspw. ist das Ergebnis eines mehrjährigen Entwicklungs- und Erprobungsprozesses, der mit der Vision einer verbesserten Gesundheitsfürsorge auf der Basis digitaler Services begonnen hat.
In Deutschland sind in diesem Zusammenhang vor allem Telehealth-Projekte in Ostsachsen sowie Mecklenburg-Vorpommern zu nennen, die sich gezielt der medizinischen Versorgung strukturschwacher Regionen annehmen.
Stärkung lokaler Bürgernetzwerke
Die Lebenswelt in ländlichen Kommunen ist traditionell durch eine hohe soziale Vernetzung geprägt. Diese besondere Stärke kann durch innovative Portalangebote wirksam unterstützt werden, die sich am Konzept der „sozialen Netze“ orientieren.
Handlungsfelder für digitale Angebote sind vor diesem Hintergrund Ehrenamt-, Tausch- und Nachbarschaftsplattformen, mit denen der nicht-entgeltliche Austausch von Fähigkeiten und Ressourcen erleichtert wird und Lösungen für Vereine, Organisationen oder andere gleichartig Interessierte, die sich online vernetzen, Informationen teilen und Kontakte pflegen.
Gerade regional fokussierte digitale Plattformen können die lokale Zivilgesellschaft, von Vereinen und kirchlichen Einrichtungen bis hin zu unterschiedlichsten Interessengruppen, in ihren Zielen und Aktivitäten wirksam unterstützen. Insbesondere traditionell gewachsene Nachbarschaftshilfe und ehrenamtliches Engagement in den vielfältigsten Ausprägungen können durch digitale Angebote sehr gut befördert werden. Es öffnet sich hier ein weites Feld für die Verzahnung „analoger“, d.h. herkömmlicher, und digitaler Angebote.
Die vorgestellten Beispiele sind daher bewusst sehr breit angelegt: Das verbindende Element der Projekte ist die Förderung der sozialen Beziehungen in der Zivilgesellschaft durch unterschiedlichste digitale Angebote.
Digitales Mobilitätsmanagement
Eine bundesweit durchgängig zu beobachtende Besonderheit der ländlichen Räume sind lange Wege und sehr zeitaufwändige oder gar fehlende ÖPNV-Verbindungen. Es ist unschwer zu erkennen, dass dieses Defizit nahezu alle Lebensbereiche berührt. Folgerichtig werden mittels digitaler Services vermehrt Anstrengungen unternommen, um die Mobilität im ländlichen Raum zu verbessern.
Die Mehrzahl der Projekte, die das Ziel eines digital unterstützten Mobilitätsmanagements unterstützen, setzt auf webbasierte Portallösungen. Dabei werden unterschiedliche Beförderungsoptionen (v.a. ÖPNV, ehrenamtliche Bürgerbusse, private Mitfahrgelegenheiten und Taxis) dynamisch mit den aktuellen Bedarfsanfragen abgeglichen und maßgeschneiderte individuelle Mobilitätsangebote unterbreitet. Ziel ist die Minimierung der Fahrzeit sowie der Umstiege, im optimalen Fall in Form einer Tür-zu-Tür-Beförderung.
Als wichtige Randbedingung haben die automatisierten Beförderungsofferten dabei – soweit möglich und sinnvoll – die Bündelung von Fahrtwünschen zu berücksichtigen, um dem Gesamtangebot die im Interesse seiner Verstetigung unverzichtbare Wirtschaftlichkeit zu sichern.
Praktische Tipps
- Legen Sie eine Person oder eine Personengruppe fest, welche das Themenfeld „Digitalisierung der Kommune“ strategisch entwickelt und operativ in Teilprojekten umsetzt.
- Wenn möglich können Sie auch eine eigene Stelle in der Kommune als „Digitallotsen-Stelle“ etablieren, welche dann sowohl nach innen die Verwaltung als u.U. auch nach außen Unternehmen und Bürger*innen berät.
- Erstellen Sie eine Übersicht über Digitalisierungsexpert*innen in Ihrer Region.
- Legen Sie sich ein festes Digitalisierungsbudget für eine innovative IT-Infrastruktur, für externe Dienstleistungen von außen als auch zugunsten von Eigenanteilen und Vorfinanzierungen für Fördermittelprogramme an.
- Nutzen Sie die Fördermittelportale von EU, Bund, Land und Region.
- Nutzen Sie auch geförderte Projekte und Initiativen zur kostenfreien Unterstützung, z.B. die Initiative Digitale Dörfer.