Weiterbildung 4.0 - Die lernende Verwaltung

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Gerade für den öffentlichen Dienst gilt: um aktuelle gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung, Migration, Fachkräftemangel und den Klimawandel zu meistern, muss die Verwaltung sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter*innen über zukunftsweisende Fähigkeiten verfügen. Dazu zählen unter anderem Fähigkeiten wie Lösungskompetenz und digitale Kollaboration. Rahmenbedingungen von Weiterbildungen müssen neu gedacht werden. Die Ansprüche der Mitarbeitenden passen sich der Zeit an und somit muss auch die öffentliche Verwaltung als Arbeitgeber das Thema Weiterbildung neu angehen. Hybride Lernformen, Arbeitszeit ausschließlich für Weiterbildungen, aber auch die Aktualisierung der Lerninhalte müssen ihren Platz im Arbeitsalltag finden. Nur so können Mitarbeitende ihre Kompetenzen stetig erweitern und die wachsenden Anforderungen des Arbeitsalltags bewältigen. Wir geben Ihnen nachfolgend einen kleinen Einblick in die Herausforderungen, aber auch mögliche Lösungsansätze, um das Thema Weiterbildung in der öffentlichen Verwaltung mit nachhaltigen Effekten zu etablieren.

Fort- und Weiterbildung sind in den vergangenen Jahren in der Verwaltung bereits verstärkt worden: noch 2019 wurden Beschäftigte dort durchschnittlich 3,7 Tage weitergebildet. Inzwischen hat sich diese Zahl – trotz oder gerade wegen Corona - auf 4,9 Tage erhöht und liegt damit sogar über dem Durchschnitt von 4,6 Tagen, die Mitarbeiter*innen in der Privatwirtschaft jährlich für Fort- und Weiterbildung nutzen. Befragte aus beiden Bereichen erwarten, dass sich die Zahl der Weiterbildungstage in den kommenden fünf Jahren noch einmal um rund 50 Prozent erhöhen wird. Große Unterschiede offenbaren sich aber auf der strategischen und finanziellen Seite: nur 24 Prozent der Verwaltungen erfassen strukturiert die Kompetenzbedarfe ihrer Beschäftigten, bei Unternehmen sind es hingegen 52 Prozent. Unternehmen geben zudem an, heute schon mehr als doppelt so viel Budget im Durchschnitt für Weiterbildungen zur Verfügung zu stellen im Vergleich zu Behörden (974 Euro versus 418 Euro pro Person). 

Deshalb müssen Fort- und Weiterbildungsbemühungen in der Verwaltung massiv verstärkt werden. Die Erarbeitung von Organisationsentwicklungsplänen für zukünftige Verwaltungsstrukturen, um den Kulturwandel und die Modernisierung der Verwaltung zu beschleunigen, die Erhebung daraus abgeleiteter Kompetenzbedarfe bei den Mitarbeiter*innen, eine Ausweitung der Weiterbildungstage und -budgets sowie der deutliche Ausbau digitaler Weiterbildungsformate sind zwingend. 

Aus der „Lernkrise“ hin zu Weiterbildung 4.0

Der grundlegende Modernisierungsbedarf der öffentlichen Verwaltung ergibt sich oft zum einen aus ihrer unzureichenden und langsamen Anpassung an veränderte Wirklichkeiten und zum anderen aus ihren bekannten, oft damit verbundenen Mängeln. Diese lassen sich stichwortartig in sieben Bereichen beschreiben als: 

  • Strategielücke: Untersteuerung im mittel- und langfristigen Bereich 
  • Innovationslücke: unzureichende Innovationsfähigkeit 
  • Geschäftsprozessmanagementlücke: bürokratische Übersteuerung der Geschäftsprozesse
  • Motivationslücke: keine Zielvorgaben, Gestaltungs- und Möglichkeitsräume, keine Feedback-Instrumente 
  • Attraktivitätslücke: fehlende Attraktivität für leistungsfähige Bewerber*innen
  • Bildungslücke: unzureichende Aus- und Fortbildung insbesondere zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen und im Bereich der (öffentlichen) Betriebswirtschaftslehre 
  • Legitimitätslücke: Unzufriedenheit der Leistungsadressat*innen und "Auftraggeber*innen" (Bürger*innen, Wähler*innen)

Die Anpassungskrise, in der sich die öffentliche Verwaltung seit langem befindet, ist im Kern eine Lernkrise, d. h. Resultat von Nichtlernen oder unzureichendem Lernen. Dies zeigt sich beispielhaft darin, dass die öffentliche Verwaltung den seit Jahren bekannten und analysierten Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels, der demographischen Entwicklung, des öffentlichen Haushaltsdefizits sowie der ökologischen Grenzen nicht bzw. nicht ausreichend gerecht wird. 

lernende-verwaltung

Verwaltung als lernende Organisation zu verstehen und neu zu gestalten ist von herausragender Bedeutung. Nur so können notwendige Effizienz- und Leistungsanpassungen an gesellschaftliche Veränderungen kontinuierlich und konsequent vollzogen werden, es sei denn, man will weiter auf zufallsabhängige Anpassungen in Schüben oder durch "große" Reformen setzen, die dann so groß sind, dass sie stecken bleiben. Dauerndes Lernen ist angesagt. Doch diese Forderung ist leichter formuliert als in die Tat umgesetzt.

Entwicklungstreiber einer lernenden Verwaltung

Was können Verwaltungen bzw. deren Fach- und v.a. Führungskräfte also tun, um die Entwicklung in Richtung einer „Lernenden Verwaltung“ voranzutreiben? Zunächst sollte sich eine Verwaltung über ihre handlungsleitenden Schemata, Deutungsmuster und „ungeschriebenen Spielregeln” klar werden. Einfach gesagt: das Implizite muss explizit gemacht werden. Der zweite Schritt sollte sein, Entscheidungen und Prozesse der Informationsgewinnung und -verarbeitung zu dezentralisieren. Parallel dazu sollten die Mitarbeiter*innen umfassend über die geplanten Maßnahmen informiert und in Lernprozesse einbezogen werden (z.B. in routinemäßigen Gruppentreffen, Mitarbeit in Projekten). Nach Einschätzung von Studien bildet das Lernen in Projekten den wichtigsten Ansatzpunkt für organisationales Lernen. 

Folgende Kriterien sind demnach unterstützend und motivierend bzgl. der gewünschten Entwicklung:

  • Fach- und Führungskräfte arbeiten engagiert und mit Perspektive.
  • Fehler werden als Lernchancen genutzt, nicht zur Suche von Schuldigen.
  • Es wird sich Zeit zur Reflexion genommen und Prozessbegleitung (Moderation, Supervision, Beratung) genutzt.
  • Wichtige Erfahrungen werden zu Konzepten verdichtet, die systematisch weiterentwickelt werden.
  • Es gibt einen Grundkonsens über die Ziele im Veränderungsprozess.
  • Notwendige Konflikte werden offen und konstruktiv ausgetragen.
  • Fach- und Führungskräfte sind mit ihren Informationsständen zufrieden.
  • Fach- und Führungskräfte sind mit ihren Beteiligungsmöglichkeiten zufrieden.
  • Qualifikation und Arbeitsanforderungen werden laufend aufeinander abgestimmt.
  • Verwaltung befindet sich im kontinuierlichen Austausch mit Bürger*innen und der Politik.
  • Die Auseinandersetzung mit dem Wettbewerb ist für die Verwaltung ein Anstoß zum Lernen.
  • Es gibt gemeinsame Werte als Entscheidungsgrundlage (z.B. Toleranz, Offenheit, Vertrauen).

Modernisierungsbedarf und Fachkräftemangel – Weiterbildung als Schlüssel für Innovation

Die Welt wandelt sich. Gesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung, Migration und der Klimawandel verlangen von Behörden die Entwicklung neuartiger Lösungsansätze und ein großes Maß an Resilienz des Einzelnen. Bei der Implementierung von Innovationen gibt es hierzulande jedoch noch erhebliches Verbesserungspotenzial.

Sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft gilt: Um den dynamischen Ansprüchen unserer Welt gerecht zu werden, muss sichergestellt werden, dass Mitarbeiter*innen über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen. Doch der Bedarf an Fachkräften und Zukunftsfähigkeiten lässt sich durch mehr Absolvent*innen entsprechender Studiengänge nicht decken. Stattdessen müssen Organisationen mehr in die Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten investieren. In diesem Zusammenhang spielt auch das Erkennen benötigter Kompetenzen und Fähigkeiten eine zentrale Rolle.

Der Konkurrenzkampf um Fachkräfte ist schon heute groß. Gerade die öffentliche Verwaltung hat hier durch eingeschränktere finanzielle Mittel einen klaren Wettbewerbsnachteil. Der Ausbau von Ausbildungs- und Studienplätzen trägt zwar zur Lösung des Problems bei. Um den enormen Bedarf kurz- wie langfristig decken zu können, ist aber zusätzlich eine massive Steigerung der Fort- und Weiterbildung nötig.

Die Grundlage dafür muss ein Kulturwandel hin zum lebenslangen Lernen im öffentlichen Sektor sein und das am besten analog und digital. Hierfür gibt es bereits einige positive Beispiele in vielen Kommunen. Neben einer Kultur des lebenslangen Lernens müssen vier weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens sollten dafür notwendige (neue) Kompetenzbedarfe der Mitarbeiter*innen strukturiert erhoben werden, um gezielt Weiterbildungen vermitteln zu können. Zweitens sollten Budgets groß genug sein, um den Ansprüchen an Qualität und Aktualität der Weiterbildung zu genügen. Zudem sollten drittens Mitarbeiter*innen hinreichend Arbeitsstunden für diese Weiterbildungen zur Verfügung stehen. Viertens müssen viel mehr Weiterbildungen digital angeboten und genutzt werden.

Mit Struktur und Strategien zur Weiterbildung 4.0

Der öffentliche Sektor in Deutschland benötigt zusätzliche qualifizierte Fachkräfte, um eine dringend notwendige Modernisierung voranzutreiben. Da dieser Bedarf nicht allein durch Neueinstellungen gedeckt werden kann – Behörden haben hier einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen haben– müssen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen deutlich ausgebaut werden. Die Ausweitung von Weiterbildungsangeboten kann auch die Attraktivität des öffentlichen Dienstes bei Neueinstellungen deutlich erhöhen. Organisationen sollten strukturierte Evaluationen insbesondere der zukünftig benötigten Kompetenzen einführen. Voraussetzung für eine strukturierte Analyse des Kompetenzbedarfes beim Personal ist ein Organisationsentwicklungsplan, der sich an den zukünftigen Zielen, Aufgaben und Strukturen der Verwaltung im digitalen Zeitalter ausrichtet. Zur Ermittlung organisationsspezifischer Kompetenzlücken (skill gaps) sollten regelmäßige datenbasierte Ermittlungen von Beschäftigten und Personalverantwortlichen durchgeführt werden. Basierend auf den Ergebnissen sollten entsprechende „Lernreisen“ (auch und v.a. digital) entwickelt werden, die den Weiterbildungsbedarf strategisch abdecken.

Weiterbildungsbudgets müssen überprüft und – wo nötig – aufgestockt werden. Die finanziellen Mittel, die für Weiterbildungen bereitgestellt werden, sollten kontinuierlich evaluiert und bei Bedarf aufgestockt werden. Die Budgets müssen als Investition in das Humankapital der Zukunft und nicht als Kostenposition verstanden werden. Die finanziellen Mittel, welche für nicht vorhanden Fachkräfte, welche eingestellt werden müssten, eingespart werden, müssen in Weiterbildungsbudgets für das Bestandspersonal umgedacht werden.

Es gilt zudem, mehr Raum für die Weiterbildung von Beschäftigten im Arbeitsalltag zu schaffen. Weiterbildung muss ein fester Bestandteil des Alltags von Beschäftigen werden. Deshalb müssen Arbeitgeber drauf achten, dass Angestellte ausreichend Zeit für Weiterbildung zur Verfügung haben. Zum anderen muss sich aber auch das Verständnis von Weiterbildung als eine „Sonderveranstaltung“ wandeln. Fortbildungen sollten in den Alltag von Beschäftigen integriert sein und somit das Lernen tagtäglich im Beruf fördern.

Digitale Angebote sind massiv auszubauen. Virtuelle Lernportale von Bildungsanbietern müssen für Weiterbildungweiterbildung_öffentliche_verwaltung stärker eingebunden, genutzt oder selbst entwickelt werden. Hochschulen oder auch Bildungsträger könnten hier eine entscheidende Kooperationsrolle einnehmen. Als erfahrene Institutionen könnten sie bei der Aktualitätsdynamik der Weiterbildung in der Verwaltung unterstützen. Vorhandende Standards zur Qualitätssicherung könnten verwendet und ausgebaut werden (Stichwort: Weiterbildungsaudits). 

Tipps

  • Legen Sie eine Person oder eine Personengruppe fest, welche das Themenfeld „Personalentwicklung/ Weiterbildung in der Kommune“ strategisch entwickelt und operativ in Teilprojekten umsetzt.

  • Wenn möglich können Sie auch eine eigene Stelle in der Kommune als „Weiterbildungslotse“ etablieren, welche dann nach innen die Verwaltungsmitarbeitende berät und nach außen Kontakte zu Bildungsanbietern knüpft.

  • Erstellen Sie eine Übersicht über Bildungsangebote bezogen auf Ihre Bedarfsermittlungen.

  • Legen Sie sich ein festes Weiterbildungsbudget, u.a. auch für eine innovative IT-Infrastruktur für digitale Weiterbildung, für externe Dienstleistungen von außen als auch zugunsten von Eigenanteilen und Vorfinanzierungen für mögliche Fördermittelprogramme an.

  • Nutzen Sie die Fördermittelportale von EU, Bund, Land und Region.

  • Nutzen Sie auch geförderte Projekte und Initiativen zur kostenfreien Unterstützung.

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Bild von Stefan Komoß
Stefan Komoß Bürgermeister a.D. & Geschäftsführer von rego Dienste Alle Artikel des Autors

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